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Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Geschichte

I. Verfassung vom 1. Mai 1808

Die Verfassung von 1808 gewährte allen Staatsbürgern die Sicherheit der Person und des Eigentums sowie die Gewissens- und die Pressefreiheit (Erster Titel § VII). Hierauf lag jedoch nicht das Schwergewicht. Ziel der ersten bayerischen Verfassung war es vor allem, den bayerischen Staat zu vereinheitlichen und seine Souveränität zu stärken; die verschiedenen Landesteile sollten zu einem einheitlichen Ganzen zusammengeschweißt werden. Rechtsschutzmöglichkeiten waren weder bei staatlichen Eingriffen in die bereits verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Bürger noch für Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Staatsorgane vorgesehen.

II. Verfassung vom 26. Mai 1818

Die ersten Wurzeln der bayerischen Verfassungsgerichtsbarkeit finden sich in der Verfassung von 1818. Dort war in Titel VII § 21 vorgesehen, dass jeder einzelne Staatsbürger sowie jede Gemeinde Beschwerden über die Verletzung der constitutionellen Rechte an die Ständeversammlung bringen konnte. Wenn beide Kammern der Ständeversammlung die Beschwerde für begründet erachteten, wurde sie dem König unterbreitet. Hierin liegt der Ursprung unserer heutigen Verfassungsbeschwerde, wenn auch damals noch kein Zugang zu einem unabhängigen Gerichtshof garantiert war.

Die auf den Schutz der Bürgerrechte ausgerichtete Individualbeschwerde an die Ständeversammlung wurde durch die sogenannte Ständebeschwerde, die das objektive Verfassungsrecht schützte, ergänzt. Gemäß Titel X § 5 der Verfassung konnten sich die Stände über Verletzungen der Verfassung durch die Königlichen Staatsministerien oder andere Staatsbehörden beim König beschweren. Dieser konnte dem Antrag auf der Stelle abhelfen oder aber den Staatsrat oder die oberste Justizstelle mit der Untersuchung und Entscheidung beauftragen. Entsprechend wurden auch die von der Ständeversammlung an den König weitergereichten Bürgerbeschwerden behandelt.

Schließlich konnten die Stände gemäß Titel X § 6 Anklage gegen höhere Staatsbeamte wegen Verletzung der Verfassung erheben; der König unterbreitete diese der obersten Justizstelle. Hierin ist der Vorläufer der heutigen Ministeranklage zu sehen.

III. Errichtung des Staatsgerichtshofs am 30. März 1850

Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Institutionalisierung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Bayern stellt die Errichtung des Staatsgerichtshofs durch das am 30. März 1850 erlassene "Gesetz, den Staatsgerichtshof und das Verfahren bei Anklagen gegen Minister betreffend" dar. Auch wenn sich die Zuständigkeit des neuen Gerichtshofs, der beim Appellationsgericht gebildet wurde, auf die Ministeranklage beschränkte, war der Grundstein für eine eigene Staatsgerichtsbarkeit in Bayern gelegt.

IV. Verfassung vom 14. August 1919

Die bayerische Verfassung von 1919, die nach dem Ort ihrer Entstehung Bamberger Verfassung genannt wird, schreibt die Existenz des Staatsgerichtshofs unmittelbar in der Verfassung fest. Zugleich wurden die Zuständigkeiten auf Verfassungsstreitigkeiten zwischen Staatsorganen (§ 70 Abs. 1) und auf Verfassungsbeschwerden (§ 93 Abs. 1 in Verbindung mit § 70 Abs. 1) erweitert. Einzelheiten der Verfahren wurden in dem Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 11. Juni 1920 geregelt.

Verfassungsbeschwerde konnten einzelne Bürger sowie juristische Personen, die in Bayern ihren Sitz hatten, erheben, wenn sie    glaubten, durch die Tätigkeit einer Behörde in ihrem Recht unter Verletzung der Verfassung geschädigt zu sein (§ 93 Abs. 1 Satz 1). Gegen rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen war gemäß ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs keine Verfassungsbeschwerde zulässig, da nach seinem Verständnis Eingriffe in die Rechtspflege unzulässig waren. Auch Akte der Gesetzgebung konnten nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein. Einen derartigen Individualrechtsschutz bei Verfassungsverletzungen gab es in der Weimarer Zeit weder auf Reichsebene noch in einem anderen deutschen Land. In der Praxis blieb die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde allerdings gering.

V. Verfassung vom 2. Dezember 1946

Durch die Verfassung von 1946 (BayRS 100-1-S, GVBl S. 333) erhielt die bayerische Landesverfassungsgerichtsbarkeit die Form, wie wir sie heute kennen. Ihre Kompetenzen wurden vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat weit ausgebaut. So wurde z.B. mit der Popularklage eine umfassende Klagemöglichkeit des Einzelnen gegen verfassungswidrige Normen eingeführt, eine bayerische Besonderheit, die noch heute in der Bundesrepublik Deutschland einmalig ist. Die Erweiterung der Kompetenzen kam auch darin zum Ausdruck, dass die überkommene Bezeichnung "Staatsgerichtshof" durch "Verfassungsgerichtshof" ersetzt wurde. Mit dieser Bezeichnung soll verdeutlicht werden, dass es dem Gerichtshof in erster Linie obliegt, die Verfassung zu schützen. Die Entwicklung der bayerischen Verfassungsgerichtsbarkeit zur umfassenden Hüterin der Verfassung war damit vollzogen. Entsprechend dem Verfassungsauftrag wurde der Bayerische Verfassungsgerichtshof durch Gesetz vom 22. Juli 1947 (GVBl S. 147) errichtet. In Kraft getreten ist dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Juli 1947.