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Landgericht Aschaffenburg

Justiz ist für die Menschen da – Recht Sicherheit Vertrauen

Pressemitteilung 01 vom 07.02.2020

Strafverfahren gegen Norbert B. wegen Mordes

Haftbefehl mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben – Fortsetzung der Hauptverhandlung am 17.02.2020

Die 2. Große Jugendkammer des Landgerichts Aschaffenburg hat am heutigen Nachmittag den Haftbefehl gegen den Angeklagten von Amts wegen aufgehoben. Die Kammer hat angeordnet, dass der Angeklagte unverzüglich aus der Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg, in welcher sich der Angeklagte für die Zeit der Untersuchungshaft aufhielt, zu entlassen ist.

Nach der bislang durchgeführten Hauptverhandlung bestehe laut der Kammer gegen den Angeklagten kein dringender Tatverdacht mehr. Es sei nach derzeitigem Stand daher nicht mehr eine große Wahrscheinlichkeit zu bejahen, dass der Angeklagte an dem Mord an Christiane J. vor gut 40 Jahren beteiligt war. Das Bestehen eines solchen dringenden Tatverdachts ist – unabhängig von der Art des Tatvorwurfs – Voraussetzung für die Fortdauer der Untersuchungshaft.

Die Kammer hatte bereits am gestrigen 10. Verhandlungstag angekündigt, die Frage der Haftfortdauer von Amts wegen zu prüfen, nachdem zuvor die von der Kammer erneut geladene zahnmedizinische Sachverständige Dr. Gabriele Lindemaier vom Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München nochmals intensiv über drei Stunden lang angehört worden war. Die Kammer war im Anschluss hieran zu dem Ergebnis gelangt, dass dieses zahnmedizinische Gutachten nunmehr aufgrund zahlreicher und von der Sachverständigen nicht entkräfteter Widersprüche „wertlos“ und nicht geeignet sei, um als Grundlage für Feststellungen zum Nachteil des Angeklagten in Bezug auf die Urheberschaft der Bissspur zu dienen.

Anlass für die erneute Ladung der Sachverständigen sei gewesen, dass die Kammer im Nachgang zu der ersten Anhörung der Sachverständigen selbst ureigenst sachverständige Arbeit betrieben und klärungsbedürftige Fragen erarbeitet habe. Ebenso habe die Kammer wiederholt verschiedene Anstrengungen unternommen, um an weitere zahnärztliche Unterlagen und Lichtbilder der Bissspur zu gelangen, um selbst die Feststellungen der Sachverständigen zu überprüfen. So wurden der Kammer am gestrigen Verhandlungstag dann etwa Röntgenbilder des Gebisses des Angeklagten aus dem Jahr 1997 übergeben.

In Zusammenschau mit den herangezogenen historischen zahnmedizinischen Krankenunterlagen des Angeklagten habe sich aus den genannten Röntgenbildern etwa ergeben, dass es zumindest im Jahr 1997 und damit wohl auch im Jahr 1979 beim Angeklagten noch den Zahn „4-4“ gegeben habe. Die Sachverständige hingegen hatte in ihrer ersten Anhörung angegeben, dass es eine vermeintliche individualspezifische Besonderheit des Gebisses des Angeklagten sei, dass eben dieser Zahn „4-4“ genetisch gar nicht angelegt gewesen sei. Der Kriminalbeamte, der gestern die Röntgenbilder aus dem Jahr 1997 dem Gericht übergab, hatte zudem angegeben, dass die Sachverständige diese Aufnahmen mit dem Hinweis „mangelnder Relevanz“ an die Kriminalpolizei zurückgesandt habe. Als weiterer Widerspruch wurden dann noch etwa die Ausführungen der Sachverständigen zum Zahn „4-5“ thematisiert: Diesen Zahn hatte die Sachverständige im heutigen Gebiss als existent betrachtet, während sich aus zahnärztlichen Unterlagen die Extrahierung dieses Zahnes ergebe. Die Kammer zeigte darüber hinaus weitere von der Sachverständigen nicht aufklärbare Widersprüche auf. Dass diese am Ende im Wesentlichen bei ihrem Wahrscheinlichkeitsurteil verbleiben wollte, stieß bei der Kammer auf Unverständnis.

Die Sachverständige hatte ihr Gutachten erstmals bereits am vierten Verhandlungstag erstattet und hatte dabei angegeben und begründet, dass die am Oberkörper des Opfers aufgefundene Bissspur „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ kompatibel sei zu dem Gebiss des Angeklagten. Diese Einschätzung sei – so die Kammer – von Anfang an wesentliches Indiz für die Bejahung des dringenden Tatverdachts gewesen. Dies könne laut der Kammer nach der gestrigen Beweisaufnahme aber gerade nicht mehr aufrechterhalten werden. Aus den verbleibenden Beweismitteln allein könne nach der bislang durchgeführten Beweisaufnahme der dringende Tatverdacht ebenfalls nicht begründet werden. 

Die Kammer werde – wie bereits gestern angekündigt – die Hauptverhandlung am 17.02.2020 fortsetzen. Das Verfahren gegen den Angeklagten werde auch weiterhin „bis in die Tiefe“ zu Ende geführt werden, weitere Fortsetzungstermine seien seitens der Kammer zwecks weiterer Zeugenvernehmungen angedacht. Wie die Kammer ebenfalls gestern bereits angekündigt hatte, werde man sich dann auch mit der Frage zu beschäftigen haben, ob der Angeklagte sogar als Täter sicher ausgeschlossen werden könne. Die Kammer beabsichtigt, am nächsten Verhandlungstag zu verkünden, dass sie ihren Beschluss, mit welchem sie den Antrag des Verteidigers auf Erholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgelehnt hatte, aufhebt. Inwieweit es dann tatsächlich zur Erholung eines weiteren zahnmedizinischen Sachverständigengutachtens kommen werde, müsse dann geprüft werden.

Rückfragen zu der heutigen Pressemitteilung sind an die Pressestelle des Landgerichts Aschaffenburg zu richten (pressestelle@lg-ab.bayern.de). 


gez.
Dr. Krist
Richter am Landgericht
Pressesprecher