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Staatsanwaltschaft Aschaffenburg

Pressemitteilung 43 vom 10.09.2018

Gemeinsam gegen „Häusliche Gewalt“ - Erfolgsmodell feiert 20-jähriges Jubiläum

Pressebericht vom 10.09.2018

SCHWEINFURT. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik kam es im Regierungsbezirk
Unterfranken im Jahr 2017 zu insgesamt 1.957 Fällen von „Häuslicher Gewalt“*.
Hinter den Zahlen stehen mindestens genauso viele Opfer. Grund genug für Polizei
und andere Verantwortungsträger sich dieses Phänomens intensiv und ganzheitlich
zu widmen. In Unterfranken feiert dieses Jahr ein (Erfolgs-) Modellversuch sein 20-
jähriges Jubiläum.

„Die Polizei muss ihre Aufgaben wahrnehmen.“ Dazu gehöre „neben der
konsequenten beweissicheren Strafverfolgung auch der Schutz der Opfer“ so
Polizeipräsident Gerhard Kallert. Gerade im Bereich der „Häuslichen Gewalt“
erkannte man Mitte der 90er Jahre, dass dazu ein ganzes Netzwerk aller beteiligten
Behörden und Organisationen eng zusammenwirken muss, um den besonderen
Anforderungen dieses sich auf die ganze Familie auswirkenden Phänomenbereichs
gerecht zu werden.

Die Gewalt unter aktuellen oder ehemaligen Lebenspartnern findet im intimsten
sozialen Lebensbereich statt und galt lange Zeit auch als Tabuthema. Für die Polizei
stellte sich die Herausforderung, sich ablauforganisatorisch neu und professionell
aufzustellen. „Man erkannte damals in Schweinfurt, dass die Polizei eine
entscheidende Weiche stellen muss, wenn ein Opfer wegen Gewalt durch den
Lebenspartner als letzten Ausweg den Notruf wählt.“ so Gerhard Kallert.

Bereits ab 1996 war die Polizei Teil eines Arbeitskreises „Häusliche Gewalt“ unter
Leitung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Schweinfurt. Ein
Themenschwerpunkt war die Frage, welchen Beitrag die Polizei leisten kann, um
Fälle „Häuslicher Gewalt“ zeitnah und umfassend zu bearbeiten.

Auf Initiative von Margit Endres, damalige Beauftragte für Frauen und Kinder
(BPFK)** beim Polizeipräsidium Unterfranken, wurde bei der Polizeiinspektion
Schweinfurt-Stadt ein Modellversuch gestartet. Eine Schwerpunktsachbearbeiterin
war zunächst für die Dauer eines Jahres damit beauftragt, alle Fälle „Häuslicher
Gewalt“ zentral zu bearbeiten. Dabei sollte sie insbesondere die Opfer bezüglich der
strafrechtlich relevanten Maßnahmen begleiten und kurz-, mittel- und langfristige
Hilfsmöglichkeiten (z.B. Frauenhaus, Opferschutzorganisationen) anbieten.

„Alle Beteiligten zogen an einem Strang!“ erinnert sich Karolina Heimgärtner, die die
erste bayerische Schwerpunktsachbearbeiterin für „Häusliche Gewalt“ war und
dieses Amt bis heute ausübt. „Die Entwicklung der letzten 20 Jahre ist immens.
Anfangs gab es auch Zweifel und gewisses Misstrauen, aber letztlich haben wir
hunderten Opfern seitdem gemeinsam geholfen!“ resümieren Frau Endres und Frau
Heimgärtner.

Auch die Staatsanwaltschaft Schweinfurt als Verantwortliche für das strafrechtliche
Ermittlungsverfahren war damals von Anfang an dabei. So benannte der damalige
Leitende Oberstaatsanwalt einen „Sonderdezernenten für Familiengewalt“, d.h. dass
auch dort ein für die Polizei fester Ansprechpartner als Schwerpunktstaatsanwalt mit
den Verfahren betraut wurde. Gerhard Kallert: „Nachdem strafrechtliche Sanktionen
alleine oftmals keine dauerhafte Konfliktlösung darstellen können, wurden alle
Organisationen vernetzt, die zu einer Konfliktlösung beitragen und
Interventionsmöglichkeiten aufzeigen können.“

Der Modellversuch „Schwerpunktsachbearbeitung Häusliche Gewalt bei der Polizei“
wurde am 09.09.1998 im Zuge einer Pressekonferenz in Schweinfurt vom damaligen
Polizeipräsidenten Gerhard Härtel, dem Direktionsleiter Jürgen Karl und dem
Inspektionsleiter Schweinfurt-Stadt, Otto Weichsel, vorgestellt. Im Dezember 1999
wurde der Modellversuch erfolgreich beendet. Seit Juni 2000 gibt es bei jeder
unterfränkischen Polizeidienststelle mindestens einen Sachbearbeiter(-in) für
„Häusliche Gewalt“. In der Folgezeit wurde das Modell bayernweit erfolgreich
umgesetzt.

Im Jahre 2001 folgte bundesweit mit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes ein
weiterer Meilenstein im Bereich Opferschutz und Bekämpfung des
Phänomenbereichs „Häusliche Gewalt“.

*Info „Häusliche Gewalt“

Definition

Laut Definition umfasst „Häusliche Gewalt" alle Fälle von physischer und psychischer
Gewalt zwischen (Ex-) Ehe- und Lebenspartnern. Darunter fallen insbesondere
Nötigungs-, Bedrohungs- und Körperverletzungsdelikte, und zwar auch dann, wenn
sie sich nach einer Trennung ereignen und noch im direkten Bezug zur früheren
Lebensgemeinschaft stehen (z. B. Nachstellungen im Rahmen von Ex-Partner-
Stalking). Denn gerade in oder kurz nach einer Trennungssituation werden
erfahrungsgemäß häufig Gewalttätigkeiten oder Einschüchterungen als Druckmittel
benutzt.

Sekundäropfer

Neben den „Primäropfern“ sind auch die Auswirkungen auf die Kinder, die Zeugen
der Gewalt werden, nicht zu vergessen. „Häusliche Gewalt hat
generationenübergreifende Auswirkungen. In gewaltbelastenden Familien wachsen Kinder heran, die Gewalt als Autoritätsbeweis und als legitimes Mittel zur
Konfliktlösung erleben. Nicht selten werden diese Verhaltensweisen später
übernommen.“ Margit Endres (BPFK** des PP Unterfranken im Jahr 1998)

**Beauftragte für Frauen und Kinder (BPFK)

Zu erwähnen ist noch, dass bei den bayerischen Polizeipräsidien bereits seit 1987
Beauftragte für Frauen (später erweitert auf Beauftragte für Frauen und Kinder und in
der Folge allgemein für Kriminalitätsopfer, sogenannte „BPFK“) als zentrale
Ansprechpartner für Opfer häuslicher Gewalt eingerichtet waren. Diese bildeten
aufgrund ihrer guten Vernetzung mit anderen (Opferschutz-) Organisationen den
Grundstock für das Erfolgsmodell.

Im Bereich des PP Unterfranken ereigneten sich im Jahr 2017 insgesamt 1.957 Fälle
von häuslicher Gewalt. Dabei wurden 2.725 Delikte begangen (unter anderem
Körperverletzung mit 1.080, Bedrohung mit 288, Mord/Totschlag inkl. Versuche mit
8). 83 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. In 35 Prozent der Fälle waren die
Kinder anwesend. In knapp 800 Fällen wurden externe Organisationen eingebunden.