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Staatsanwaltschaft München I

Justiz ist für die Menschen da – Recht Sicherheit Vertrauen

Pressemitteilung 5 vom 04.03.15

Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 04.03.2015 - Anklageerhebung gegen einen früheren Oberarzt des Klinikums rechts der Isar im Zusammenhang mit Lebertransplantationen


Die Staatsanwaltschaft München I hat die Ermittlungen gegen einen heute 46-jährigen früheren Oberarzt des Klinikums rechts der Isar abgeschlossen und Anklage zum Landgericht München I erhoben. Er soll in den Jahren 2009 und 2010 Blutwerte manipuliert haben, um drei Patienten eine vorzeitige Lebertransplantation zu ermöglichen. Weil er dabei nach Ansicht der Staatsanwaltschaft billigend in Kauf genommen hat, dass schwerstkranke andere Patienten, bei denen eine höhere medizinische Dringlichkeit für eine Lebertransplantation bestand, die benötigten Spenderorgane erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten, wird ihm versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.


Die nunmehr erhobene Anklage geht von folgendem Tatverdacht aus:

Als Oberarzt im Klinikum rechts der Isar in München war der heute 46-jährige Angeschuldigte in den Jahren 2009 und 2010 mit der Behandlung von Patienten betraut, die für eine Lebertransplantation in Frage kamen. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, die für die Zuteilung von Spenderorganen maßgeblichen Patientendaten an die Stiftung Eurotransplant zu melden.

Die Stiftung Eurotransplant mit Sitz in Leiden / Niederlande ist für die Zuteilung postmortal gespendeter Organe in Deutschland und sieben weiteren europäischen Ländern verantwortlich. Die deutschen Transplantationszentren, zu denen auch das Klinikum rechts der Isar gehört, arbeiten mit Eurotransplant auf der Grundlage des Transplantationsgesetzes (TPG) zusammen.

Um eine möglichst gerechte Verteilung der knappen Spenderorgane zu gewährleisten, führt Eurotransplant eine zentrale Warteliste, auf der die Patienten, die grundsätzlich für eine Organtransplantation in Frage kommen, gelistet sind. Je höher der Listenplatz eines Patienten ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm zeitnah ein Spenderorgan angeboten werden kann.

Ein wesentliches Kriterium für den jeweiligen Listenplatz und somit die Zuteilung eines Spenderorgans ist die medizinische Dringlichkeit einer Organtransplantation als lebensrettende Maßnahme. Sie wird in erster Linie anhand bestimmter Blutwerte der Patienten ermittelt, die die Transplantationszentren regelmäßig an Eurotransplant melden müssen.

Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, im Dezember 2009 und Januar 2010 wissentlich unrichtige Blutwerte von drei Patienten des Klinikums rechts der Isar an Eurotransplant übermittelt zu haben. Die Blutwerte, die in zwei Fällen nicht von den angegebenen Patienten selbst stammten und in einem Fall durch die Beimischung anderer Substanzen manipuliert worden waren, ließen jeweils auf einen lebensbedrohlichen Gesundheitszustand schließen. Auf diese Weise wollte der Angeschuldigte den Patienten einen höheren Listenplatz verschaffen, als ihnen bei Übermittlung der tatsächlichen Blutwerte zugestanden hätte, und ihnen so die vorrangige Zuteilung eines Spenderorgans ermöglichen.

Aufgrund der vom Angeschuldigten übermittelten unzutreffenden Blutwerte bot Eurotransplant den drei Patienten im Januar 2010 jeweils eine Spenderleber an. In zwei Fällen wurde das Spenderorgan anschließend im Klinikum rechts der Isar transplantiert. Im dritten Fall bemerkte ein anderer Arzt des Klinikums vor der Transplantation, dass das Organangebot auf unzutreffenden Werten beruhte. Das Angebot wurde daraufhin abgelehnt, sodass die Spenderleber dem nächsten ordnungsgemäß gelisteten Patienten zugeteilt werden konnte.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeschuldigte bei der Übermittlung der unzutreffenden Blutwerte billigend in Kauf nahm, dass schwerstkranke andere Patienten von ihrem höheren Listenplatz verdrängt wurden und daher erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Organangebot erhalten konnten. Dabei nahm er auch die Möglichkeit in Kauf, dass das Leiden dieser Patienten in der Zwischenzeit verlängert wurde und für sie zumindest eine abstrakte Lebensgefahr bestand.

Dem Angeschuldigten wird zugebilligt, dass er in dem Vertrauen handelte, die übergangenen Patienten würden noch rechtzeitig ein weiteres Organangebot erhalten und daher nicht versterben. Ein Tötungsvorsatz kann daher nicht angenommen werden. Das Verhalten des Angeschuldigten erfüllt jedoch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in den drei angeklagten Fällen den Tatbestand der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Hinblick auf eine mögliche Lebensgefahr.

Anlass der Ermittlungen war eine im August 2012 erstattete Anzeige der Leitung des Klinikums rechts der Isar, der Hinwiese auf mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Anmeldung von Patienten zu Lebertransplantationen vorlagen.

Aufgrund der Anonymisierungsbestimmungen des Transplantationsgesetzes und der komplexen medizinischen und organisatorischen Voraussetzungen einer Lebertransplantation kann die Identität der Geschädigten – also der Patienten, denen die Spenderlebern anstelle der beiden Patienten des Klinikums rechts der Isar transplantiert worden wären – nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Da somit auch nicht sicher festgestellt werden kann, ob und auf welche Weise sich die zur Last gelegten Manipulationen tatsächlich auf den Gesundheitszustand dieser Patienten ausgewirkt haben, geht die Staatsanwaltschaft lediglich von versuchter gefährlicher Körperverletzung aus.

Im Ermittlungsverfahren hat der Angeschuldigte den Tatvorwurf, Patientendaten manipuliert zu haben, zurückgewiesen.

Das Gesetz sieht für gefährliche Körperverletzung einen Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe vor. Liegt ein Versuch vor, kann das Gericht die Strafe mildern.

In der 125-seitigen Anklageschrift sind 28 Zeugen und 5 Sachverständige als Beweismittel benannt. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und damit über eine mögliche Terminierung der Hauptverhandlung hat nun das Landgericht München I zu entscheiden.


Hinweis:
Nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 23 Abs. 2 RiStBV) darf eine Anklageerhebung der Presse erst dann bekannt gegeben werden, wenn die Anklageschrift dem Angeschuldigten bzw. dessen Verteidigung nachweislich zugegangen ist.



gez.
Peter Preuß
Staatsanwalt als Gruppenleiter
stellvertretender Pressesprecher