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Oberlandesgericht Bamberg

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Pressemitteilung 18 vom 16.06.16

Zur Frage des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Vormunds bei einer im Ausland geschlossenen Ehe eines Minderjährigen

In einem Beschluss vom 12.5.2016 hat der 2. Senat (Familiensenat) des Oberlandesgerichts Bamberg entschieden, dass dem für einen minderjährigen Flüchtling als Vormund bestellten Jugendamt keine Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt seines verheirateten Mündels zukommt. Der Familiensenat stützt sich bei seiner Entscheidung auf § 1633 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach ein verheirateter Minderjähriger bzw. eine verheiratete Minderjährige u.a. selbst darüber bestimmen kann, wo er bzw. sie sich aufhalten und mit wem sie Umgang haben möchte. Diese Einschränkung der sogenannten Personensorge der Eltern eines verheirateten Minderjährigen gilt - so der Senat - nach § 1800 BGB auch für den Vormund, der für den minderjährigen Flüchtling bestellt worden ist.

Wie der Familiensenat im Einzelnen ausführte, sei Voraussetzung für diese Einschränkung der Personensorge des Vormunds allerdings eine wirksame Ehe. Im konkreten Fall - der Ehemann und seine damals 14-jährige Ehefrau waren bei Eingehung der Ehe syrische Staatsangehörige und haben in Syrien geheiratet - hat der Senat mit eingehender Begründung eine wirksame Ehe nach syrischem Recht bejaht. Denn selbst wenn bei Eheschließung ein Verstoß gegen das nach syrischem Recht geltende Ehemündigkeitsalter (d.h. das Mindestalter, das die Eheschließenden haben müssen) vorgelegen hätte, wäre die Ehe nach syrischem Recht zwar fehlerhaft und anfechtbar, aber - solange eine begründete Anfechtung nicht erfolgt sei - als wirksam anzusehen. Die gleiche Rechtsfolge - Wirksamkeit der Eheschließung bis zu einer etwaigen auf Antrag erfolgten Eheaufhebung - gelte auch nach deutschem Recht: Nach deutschem Recht solle eine Ehe zwar nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Gleichwohl könne ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, seinen künftigen Ehegatten heiraten, wenn dieser volljährig sei und das Familiengericht eine Befreiung vom Alterserfordernis erteilt. Auch nach deutschem Recht sei eine Ehe, die unter Verstoß gegen die Vorschrift zur Ehemündigkeit geschlossen worden sei, als wirksam anzusehen, solange nicht die Ehe auf Antrag aufgehoben worden sei.

Der Familiensenat weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass er keine Entscheidung dazu treffen musste, ob in der Anerkennung des syrischen Rechts zum Ehemündigkeitsalter ein Verstoß gegen den „ordre public“ (d.h. die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts)
liegen könnte, da in jedem Fall - sei es nach syrischem Recht, sei es nach deutschem Recht - zum jetzigen Zeitpunkt von einer wirksamen Ehe auszugehen sei. Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Ehe habe das Jugendamt als Vormund daher keine Entscheidungsbefugnis für die Frage, wo sich die minderjährige Ehefrau aufhalten und mit wem sie Umgang haben möchte.

Der Familiensenat hat in seiner Entscheidung mit näherer Begründung weiter ausgeführt, dass auch „Kindeswohlbelange“ im konkreten Fall eine andere Entscheidung nicht erfordern. Insbesondere liegen nach den Ausführungen des Familiensenats keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Eheschließung um eine „Zwangsheirat“ handeln könnte.

Der Familiensenat hat die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung habe. Insbesondere habe sich der Bundesgerichtshof bislang nicht dazu geäußert, ob eine Eheschließung im Ausland bei Unterschreitung des - nach deutschem Recht geltenden - Ehemündigkeitsalters einen Verstoß gegen den „ordre public“ darstellt und ob aus Kindeswohlgesichtspunkten ein solcher Verstoß ausnahmsweise die „Nichtigkeit“ der Ehe zur Folge hat.