Menü

Staatsanwaltschaft München I

Justiz ist für die Menschen da – Recht Sicherheit Vertrauen

Pressemitteilung 5 vom 09.07.14

Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 09.07.2014 - Ermittlungen gegen NS-Beschuldigten durch Tod beendet


Die Staatsanwaltschaft München I führte seit Januar 2010 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen einen 93-jährigen Beschuldigten, der im Verdacht stand, im August 1942 als ukrainischer Hilfspolizist an der sog. "Großen Aktion" in Lemberg (Ukraine) beteiligt gewesen zu sein. Dabei wurden mehrere Tausend Juden zusammengetrieben, am Bahnhof in Züge verfrachtet und anschließend zum Vernichtungslager Belzec transportiert, wo ca. 40.000 Personen in Gaskammern getötet wurden. Der Beschuldigte wurde nach dem Krieg US-Staatsbürger. Dort verstarb er nunmehr, weshalb das Ermittlungsverfahren beendet ist.


Im Januar 2010 übernahm die Staatsanwaltschaft München I von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg einen Vorermittlungsvorgang gegen den damals 88-jährigen Beschuldigten John K., der in den USA wohnhaft war.

Er wurde verdächtigt, als ukrainischer Hilfspolizist im August 1942 an der sog. "Großen Aktion" in Lemberg (Ukraine) beteiligt gewesen zu sein. Dabei wurde über mehrere Tage hinweg im ganzen Stadtgebiet die jüdische Bevölkerung durch sog. Greifkommandos bestehend aus Einheiten der SS, der Schutzpolizei, der ukrainischen Hilfspolizei, der Wehrmacht, des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) sowie des Jüdischen Ordnungsdienstes zusammengetrieben. Kranke und Kinder wurden vor Ort erschossen, zu Tode geprügelt oder einfach aus dem Fenster geworfen. Die Festgenommenen wurden über Sammelplätze in der Innenstadt letztendlich zum Zwangsarbeitslager in der Janowskastraße verbracht, wo eine Selektion stattfand. Wer nicht mehr als arbeitsfähig angesehen wurde und deshalb nicht im Arbeitslager verbleiben konnte, wurde unter der Eskorte der SS und der ukrainischen Hilfspolizei zum nahegelegenen Güterbahnhof Kleparov geführt. Dort mussten sich die Juden entkleiden und wurden in Güterwaggons mit regelmäßig 100 und mehr Insassen pro Waggon gesperrt. Ziel war es, die Juden in das 80 km entfernte Vernichtungslager Belzec zu transportieren, in dem nach den bisherigen Ermittlungen im Rahmen der sog. "Großen Aktion" mindestens 40.000 Menschen in den dortigen Gaskammern getötet wurden.

Gegen den Beschuldigten wurde deshalb wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord in mindestens 40.000 Fällen ermittelt.

Mit sehr aufwendigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I, in deren Rahmen neben der Auswertung früherer in der Bundesrepublik geführter Verfahren und Rechtshilfeersuchen in mehrere Länder im Jahr 2013 auch eine ganze Reihe von Überlebenden aus dem damaligen Lemberg in Israel als Zeugen unter Beteiligung von zwei Staatsanwälten unserer Behörde vernommen wurden, mussten die damaligen Abläufe der sog. "Großen Aktion" geklärt werden.
Zentrale Frage für den Tatnachweis war dabei, was den Beteiligten und damit auch dem Beschuldigten selbst zum damaligen Zeitpunkt über das Ziel des Eisenbahntransports und somit das Schicksal der Zuginsassen bekannt war. Hintergrund ist, dass durch das NS-Regime derartige Aktionen als "geheime Reichssachen" eingestuft wurden, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der volle Umfang nicht allen Beteiligten damals bekannt war.
Daneben bestand auch der Verdacht, dass der Beschuldigte selbst durch den Gebrauch seiner Waffe vor Ort Menschen getötet haben könnte. Darauf wurde aus einem Munitionsverwendungsnachweis geschlossen, der vom Beschuldigten stammen sollte.

Der Beschuldigte selbst bestritt bei seinen Anhörungen gegenüber US-Behörden jegliche Beteiligung.

Nachdem sich durch die Ermittlungen im Umfang von über 500 Aktenordnern ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergab, erließ das Amtsgericht München im Februar 2014 auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I einen Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 40.000 Fällen.

Auf Grund dieses Haftbefehls planten die US-Behörden für Anfang April 2014 die Abschiebung des Beschuldigten nach Deutschland.

Jedoch ging bei der Staatsanwaltschaft München I Ende März 2014 ein "Medical Assessment" des für die Abschiebung zuständigen U.S. Department of Homeland Security ein, aus dem sich für die hiesige Staatsanwaltschaft erstmals Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung des Beschuldigten ergaben.

Die Staatsanwaltschaft München I legte deshalb das "Medical Assessment" einem deutschen medizinischen Sachverständigen vor, der auf Grund des Inhalts dieses US-Dokuments Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten anmeldete.

In der Folgezeit wurden daher Vorkehrungen getroffen, einen deutschen Facharzt im Rechtshilfeweg zu einer Untersuchung des Beschuldigten in die USA einreisen zu lassen.
Hierzu sollte zunächst ein entsprechender Beschluss des Amtsgerichts München für eine körperliche Untersuchung (§ 81a StPO) erholt werden, weil der Verteidiger des Beschuldigten jegliche Kooperation verweigerte und vielmehr eine sofortige Einstellung des Verfahrens forderte, so dass eine Untersuchung auf freiwilliger Basis undurchführbar war.

Dazu kam es aber nicht mehr, da die US-Behörden am 08.07.2014 der Staatsanwaltschaft München I mitteilten, dass der Beschuldigte zwischenzeitlich in den USA verstorben ist. Damit ist das Ermittlungsverfahren beendet. Eine weitere Aufklärung der historischen Sachverhalte in Bezug auf diesen Beschuldigten kann durch das deutsche Strafrecht nicht mehr erfolgen.


gez.
Steinkraus-Koch
Oberstaatsanwalt
Pressesprecher