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Pressemitteilung 09/2023 vom 19.04.2023

Klageabweisung bei polizeilichem Schusswaffengebrauch

Die 15. Kammer des Landgerichts München I hat heute eine Klage gegen den Freistaat Bayern wegen des Gebrauchs einer Schusswaffe bei einem Einsatz der Polizei abgewiesen. Die Klägerin wurde während eines Polizeieinsatzes angeschossen. Zuvor hatte sie einen Arzt und mehrere Polizisten mit einem Messer bedroht. Sie forderte mit ihrer Klage wegen ihrer Verletzungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro (Az. 15 O 14153/21).

Am späten Abend des 22.09.2020 rief der Ehemann der Klägerin den ärztlichen Bereitschaftsdienst wegen akuter psychischer Probleme der Klägerin. Die Klägerin bedrohte den diensthabenden Bereitschaftsarzt vor Ort mit einem Messer. Der Bereitschaftsarzt flüchtete in sein Dienstfahrzeug. Mit Notruf wurde die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums München über den Vorfall informiert und polizeiliche Hilfe angefordert.

Gegen 1:00 Uhr traf eine Polizeistreife mit mehreren Polizeibeamten ein. Die Klägerin und ihr Ehemann wurden vor dem Haus durch die anwesenden Polizeibeamten durchsucht, wobei festgestellt wurde, dass keiner der beiden Waffen bei sich trug. Das Messer, mit dem der Bereitschaftsarzt bedroht worden war, stellte die Polizei sicher.

Die Polizeibeamten begaben sich mit der Klägerin und deren Ehemann sodann in den Eingangsbereich ihres Hauses, um das weitere Vorgehen zu besprechen. 

Aufgrund des psychisch auffälligen Zustands der Klägerin stand im Raum, dass diese sich freiwillig in ärztliche Behandlung begeben sollte. Stattdessen begab sich die Klägerin in die Küche und holte dort erneut ein 25,5 cm langes Messer. Sie ging mit dem Messer in den Flur, wo sich anfänglich sechs Polizeibeamte befanden, wobei sie das Messer im leicht angewinkelten Arm in der rechten Hand hielt und Griff sowie Klinge des Messers oben aus ihrer Faust heraus zeigten. Daraufhin zogen zwei der anwesenden Polizisten ihre Dienstwaffen und forderten die Klägerin lautstark auf, das Messer wegzulegen. Die Klägerin ging dennoch mit vorgehaltenem Messer wortlos weiter auf die Polizeibeamten zu. Die Polizeibeamten wichen - soweit möglich - in Richtung Haustür zurück.

Als die Klägerin sich näherte und noch immer das Messer drohend in die Richtung der Polizeibeamten hielt, gab einer der Polizeibeamten einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab. Die Klägerin wurde im Bauch getroffen, fiel zu Boden und ließ das Messer fallen. Sie wurde im Krankenhaus mehrmals operiert und einige Wochen stationär behandelt. Die hausärztliche Behandlung der Klägerin dauert an.

Sie vertrat mit ihrer Klage die Auffassung, eine Rechtfertigung durch Notwehr scheide aus, da der Schuss des Polizeibeamten nicht erforderlich gewesen sei. Es seien mehrere Polizeibeamte anwesend gewesen, welche die Klägerin mit einem Schlagstock oder mit Pfefferspray hätten überwältigen können. Ferner hätte zunächst ein Warnschuss abgegeben werden müssen. Letztlich hätte der Polizeibeamte zumindest auf die Arme oder Beine der Klägerin zielen müssen, was weniger gravierende Verletzungsfolgen verursacht hätte.

Zur Überzeugung der Kammer handelte der Polizeibeamte nicht amtspflichtwidrig. Insbesondere wurde auch das für Polizeieinsätze geltende Übermaßverbot nicht verletzt. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass Schusswaffen durch die Polizei nur gebraucht werden dürfen, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen.

Die Kammer führte hierzu aus: „Mildere Maßnahmen sind nur dann anzuwenden, wenn sie eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lassen, ohne dass Zweifel über die Wirkung des Verteidigungsmittels verbleiben. Polizeibeamte müssen sich nicht auf das Risiko einer ungenügenden Abwehrhandlung einlassen.“

Die Richter haben in der mündlichen Verhandlung Fotos und Skizzen von den Räumlichkeiten in Augenschein genommen und Zeugen befragt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es in der konkreten Situation keine andere effektive Abwehrmöglichkeit mehr gab. Für das Gericht war bei seiner Entscheidung ausschlaggebend, dass die Klägerin zuvor mehrfach deutlich aufgefordert worden war, das Messer wegzulegen und die Schussabgabe ihr vorher angedroht wurde. Der den Schuss abgebende Polizeibeamte hatte zudem zunächst vergeblich versucht, im engen Hausflur zurückzuweichen.

Es sei nicht möglich gewesen, die Klägerin zu überwältigen, da der Flur des Hauses sehr eng gewesen sei und die Klägerin ein Messer in der Hand gehalten habe, welches sie jederzeit hätte benutzen können, so die Kammer. Der Einsatz von Pfefferspray oder einem Schlagstock sei deshalb nicht zielführend gewesen, um den Angriff der Klägerin mit dem Messer sicher effektiv abzuwehren.

Dagegen, dass die Klägerin unter dem Eindruck eines vorherigen Warnschusses willentlich das Messer weggelegt hätte, spreche in diesem Fall schon, dass die Klägerin auch auf jegliche andere Ansprache, insbesondere auch auf die Androhung des Schusswaffengebrauchs unter vorgehaltener Waffe nicht reagiert habe.

Ein Schuss in Arm oder Bein hätte den Angriff der Klägerin in der konkreten Situation ebenfalls nicht sicher endgültig beendet. Sie hätte möglicherweise trotz eines Treffers aufgrund der geringen Distanz zum Polizeibeamten noch zustechen können. Dieses Risiko habe der Polizeibeamte in der konkreten Situation nicht eingehen müssen, denn mit einem Messer könnten sehr schnell schwere bis tödliche Verletzungen zugefügt werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Der Schusswaffengebrauch nur gem. Art. 84 Abs. 1 Nr. 1 PAG gerechtfertigt und auch notwendig, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben abzuwenden. 

Art. 4 PAG regelt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit speziell für polizeiliches Einschreiten. Er gilt für jede polizeiliche Maßnahme. Die Polizei hat diesen Grundsatz also ausnahmslos zu beachten. Er wird (im weiteren Sinn) in der Literatur auch als Übermaßverbot bezeichnet und hat Verfassungsrang. Er leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV und den Grundrechten ab (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 4 Rn. 1).

Während Art. 4 PAG die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für alle polizeilichen Maßnahmen vorschreibt, gibt es einige Eingriffsmaßnahmen, bei denen der Gesetzgeber die besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit speziell auferlegt (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 4 Rn. 3). Hierzu zählen insbesondere Art. 83 bis 86 PAG, wo der Gebrauch von Schusswaffen gesetzlich geregelt ist.

Verfasserin der Pressemitteilung:Vorsitzende Richterin am Landgericht München I Dr. Anne-Kristin Fricke – Pressesprecherin