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Generalstaatsanwaltschaft München

Pressemitteilung 3 vom 30.01.2024

Beabsichtigte weitere Einschränkung der Ermittlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaften im Bereich der Schwerkriminalität stößt auf einhellige Ablehnung durch alle Generalstaatsanwälte/-innen

Das Bundesministerium der Justiz hat am 19. Dezember 2023 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen vorgelegt. Der Generalstaatsanwalt in München, Reinhard Röttle, lehnt diesen Entwurf aus guten Gründen ab – ebenso wie alle seine Kolleginnen und Kollegen im Bundesgebiet.  

Der Einsatz Verdeckter Ermittler (verdeckt agierende Polizeibeamte) und die Informationen, die durch sog. Vertrauenspersonen (Privatpersonen oftmals mit Kontakt zu einem kriminellen Milieu) gewonnen werden, sind wichtige Ermittlungsinstrumente bei der Bekämpfung schwerwiegender Delikte z.B. aus den Bereichen des Terrorismus, der politisch motivierten und organisierten Kriminalität sowie der sog. Cyberkriminalität. Der vorgelegte Entwurf sieht zahlreiche neue verfahrensrechtliche Hürden vor, zudem Informationspflichten, die zu einer Gefährdung der Informationsgeber führen. Würde das Gesetz so in Kraft treten, würden diese essenziellen Ermittlungsinstrumente de facto wirkungslos und viele Straftäter unbehelligt bleiben. In einer gemeinsamen Stellungnahme vom 25. Januar 2024 lehnen daher alle Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte Deutschlands den Gesetzesentwurf ab und legen ihre Gründe ausführlich dar (siehe Anlage). Ein Regelungsbedarf hinsichtlich der seit Jahrzehnten rechtsstaatlich gesicherten Praxis wird nicht gesehen.

Der Generalstaatsanwalt in München, Reinhard Röttle:

„In einer Zeit, in der das organisierte Verbrechen von innen und außen technisch und personell aufrüstet, halte ich es für einen schwerwiegenden Fehler, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie der Polizei unseres Landes quasi per Gesetz das Misstrauen auszusprechen und ihre tagtägliche Arbeit im europäischen Vergleich noch weiter zu erschweren. Das Bundesministerium für Justiz muss Farbe bekennen: Werden die Bedenken der Strafverfolgungsbehörden ernst genommen oder soll Deutschland attraktiver für Straftäter werden ?“

gez.
Weinzierl
Oberstaatsanwalt
Stellvertretender Pressesprecher


Stellungnahme der deutschen Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte
zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten
Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation
vom 25.01.2024

Das Bundesministerium der Justiz hat am 19.12.2023 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation vorgelegt.

Die deutschen Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte lehnen diesen Entwurf ab. Die bestehenden Regelungen sind rechtsstaatskonform, abgewogen und sachdienlich. Es besteht kein Regelungsbedarf.

Verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen liefern unverzichtbare Ermittlungsansätze zur Aufklärung schwerer Straftaten, insbesondere geschlossener Gruppen (Clans, Rocker u. ä.). Dies gilt für die Terrorismusbekämpfung, die Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität und Organisierter Kriminalität sowie für die vielfach ebenso organisierte Cyberkriminalität.

Der Referentenentwurf will den Einsatz von Vertrauenspersonen faktisch abschaffen: Die vorgeschlagenen Regelungen würden das Vertrauen (potentieller) Vertrauenspersonen in die verlässliche Einhaltung der Vertraulichkeit, das Kernelement der Zusammenarbeit zwischen Vertrauenspersonen und Strafverfolgungsbehörden, nachhaltig erschüttern. Personen, die zu einem Einsatz als Vertrauensperson bereit sind, würde es kaum noch geben, denn die durch den Referentenentwurf entstehenden Enttarnungsrisiken brächten sie in Gefahr für Leib und Leben. So ginge eine effektive Maßnahme der Strafverfolgung bei schwerer Kriminalität, insbesondere bei Organisierter Kriminalität, verloren.

In einer Zeit steigender Herausforderungen der Strafverfolgungsbehörden durch demokratiefeindliche Bevölkerungsgruppen und kriminelle Parallelgesellschaften spielt der Referentenentwurf Schwerkriminellen - auch aus dem Bereich politischer Kriminalität - in die Hände. Das birgt gesellschaftspolitische Brisanz und widerspricht dem Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2021. Mit dem dort festgelegten Ziel, der Organisierten Kriminalität – dazu gehörend auch der Clankriminalität – sowie der politisch motivierten Kriminalität konsequent begegnen zu wollen, sind die geplanten Regelungen nicht vereinbar.

Insbesondere merken wir an:

I. Die Einführung eines Richtervorbehalts für den Einsatz von Vertrauenspersonen ist rechtsstaatlich nicht geboten.

Ein Richtervorbehalt für Einsätze von Vertrauenspersonen ist durch das Rechtsstaatsprinzip nicht geboten. Das praktizierte Verfahren ist in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als rechtsstaatlich verankert anerkannt.

Die Grundlage bildet die Ermittlungsgeneralklausel des § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO. Anlage D zur RiStBV enthält ergänzend umfassende, für Staatsanwaltschaft und Polizei verbindliche Regelungen, die auf der Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung stets weiterentwickelt wurden und werden. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof verlangen in ständiger Rechtsprechung keine weitergehenden Regelungen.

Wenn auf Seite 1 des Referentenentwurfs behauptet wird, es drohe die Gefahr, dass durch den Einsatz von Vertrauenspersonen die strengeren Vorgaben für den Einsatz Verdeckter Ermittler umgangen werden können, zeugt dies von einer einseitigen Sichtweise. Wenn man im Gegensatz zur ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung zudem meint (lit. C der Allgemeinen Begründung, Seite 2 „Alternativen“), das Gesetz bringe einen Zugewinn beim „angemessenen Ausgleich zwischen effektiver Strafverfolgung und rechtsstaatlich gebotener Transparenz und Kontrolle“, so zeigt sich darin Misstrauen insbesondere gegenüber der Polizei. Das den Referentenentwurf prägende Misstrauen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen. Ein solches Misstrauen in Gesetzesform zu gießen, kann Staatsleugner, Wutbürger und Politikverdrossene in ihrem Misstrauen gegen alles Staatliche bestärken.

II. Die über die bereits bestehenden Bestimmungen hinausgehenden Regelungen sind praxisfremd und nicht zielführend.

Dass die Arbeit insbesondere von Vertrauenspersonen nicht in gleichem Maße transparent sein kann wie der Einsatz verdeckter technischer Ermittlungsmaßnahmen, ist der Sache immanent.

Jede Erweiterung der bestehenden strengen Voraussetzungen für den Einsatz von Vertrauenspersonen erschwert unnötig die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und wird die Bereitschaft geeigneter Vertrauenspersonen zu einer Kooperation erheblich mindern, wenn nicht aufheben.

Jeder Antrag und jeder gerichtliche Beschluss zum Einsatz von Vertrauenspersonen, der zu den Akten gelangen kann, erhöht die Gefahr der Aufdeckung. Vertrauenspersonen werden jede notwendigerweise mit dem Aktentransport und der Aktenbearbeitung bei Gericht verbundene Erweiterung des Kreises der Kenntnisträger als weiteres Sicherheitsrisiko empfinden. Ausreichend und geboten ist daher auch zukünftig die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einem Einsatz einer Vertrauensperson durch die Polizei und die Führung des Vorgangs in den nicht der Akteneinsicht unterliegenden Generalakten der Staatsanwaltschaft.

1. Allein die Möglichkeit, dass es zu Benachrichtigungen der Betroffenen über den Einsatz einer Vertrauensperson kommen wird, reicht aus, Vertrauenspersonen von einem Einsatz abzuhalten.

Geschaffen werden soll eine Pflicht zur Benachrichtigung der Betroffenen eines Einsatzes von Vertrauenspersonen, u. a. auch derjenigen Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung die Vertrauensperson betreten hat. Damit stünde für die Vertrauensperson zu befürchten, dass ihre Identifizierung durch die Betroffenen ein Leichtes sein wird. Mit Benachrichtigungsreife sollen auch die Entscheidungen und sonstigen Unterlagen zu den Akten genommen werden, so dass sie spätestens ab diesem Zeitpunkt der Akteneinsicht unterliegen würden.

Eine Benachrichtigung soll nach dem Referentenentwurf erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung u. a. des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der persönlichen Freiheit der Vertrauensperson möglich ist. Diese Voraussetzungen werden häufig im Ergebnis nicht vorliegen, so dass eine Benachrichtigung der Ausnahmefall sein wird. Potentiellen Vertrauenspersonen wird die Regelung aber zu viel Ungewissheit bedeuten. Das wird manche von der Mitarbeit abhalten. Die Benachrichtigungspflicht ist daher als aufklärungshindernd abzulehnen.

2.      Das vorgesehene Niederlegen von Aussagen von Vertrauenspersonen in Wortprotokollen ist praxisfremd, unnötig und schreckt potentielle Vertrauenspersonen ab.

Ebenso abschreckend wie die Benachrichtigungsmöglichkeit wird auf potentielle Vertrauenspersonen die vorgesehene Neuerung wirken, dass ihre Aussagen in Wortprotokollen festgehalten werden sollen. Von einem solchen Wortprotokoll kann nach dem Referentenentwurf zwar abgesehen werden, „soweit hierdurch Rückschlüsse auf die Identität der Vertrauensperson oder auf geheimhaltungsbedürftige Methoden beim Einsatz von Vertrauenspersonen gezogen werden können“. Allein die Angabe des Vernehmungsortes und insbesondere die in einem Wortprotokoll festgehaltene Wortwahl der Vertrauensperson können Rückschlüsse auf die Identität der Vertrauensperson zulassen. Zum Schutz der Vertrauenspersonen würden die Ermittlungsbehörden in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle von einem Wortprotokoll vollständig absehen müssen. Die in Aussicht genommene Vorschrift bildet das Regel-Ausnahme-Verhältnis falsch herum ab. Dies führt so zu einem unnötigen Begründungsmehraufwand auf Seiten der Ermittlungsbehörden. Jede Begründung wiederum lässt Rückschlüsse auf die Vertrauensperson befürchten.

Der Entwurf zeugt zudem von mangelndem Praxisverständnis. Es ist kaum vorstellbar, wie bei Treffen zwischen VP-Führer (= für den Einsatz der Vertrauensperson zuständige Polizeibeamtin/ zuständiger Polizeibeamter) und Vertrauensperson, die in der Regel nicht in einer geordneten Bürosituation stattfinden, das Erstellen aufwändiger Wortprotokolle unauffällig möglich sein soll. In der Praxis wird man daher weiterhin auf die bewährten und nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausreichenden Mittel der Vernehmung des VP-Führers sowie der Verlesung von Niederschriften der Vernehmungen des VP-Führers zurückgreifen.

3.      Eine gesonderte Begründung der Auswahl der Vertrauensperson bei einem aktiven
Einsatz von mehr als fünf Jahren oder bei Vorliegen von Verurteilungen zu Freiheitsstrafen sowie polizeilichen Erkenntnissen ist nicht erforderlich und nicht sachgerecht.

Die Strafverfolgungsbehörden prüfen die Zuverlässigkeit einer einzusetzenden Vertrauensperson schon deshalb, weil sie bei der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben ein Interesse am Erhalt valider Informationen und einer Verlässlichkeit der Vertrauensperson auch im Hinblick auf die spätere Verwertbarkeit der Angaben vor Gericht haben. Es sind zudem gerade Vertrauenspersonen mit bereits längeren Einsatzzeiten, auf welche im Sinne einer effektiven Strafverfolgung nicht verzichtet werden kann. Sie sind es, die sich als besonders zuverlässig erwiesen haben und die sich den Zugang zu bestimmten Szenen und Milieus, aber auch das Vertrauensverhältnis zum VP-Führer erarbeitet haben.

Nicht sachgerecht ist auch, dass jede Art von Freiheitsstrafe und jede „polizeiliche Erkenntnis“, mag sie auch den Bagatellbereich betreffen, einen erhöhten Begründungsaufwand auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden auslösen soll. Vorbestrafte Vertrauenspersonen werden oft ganz bewusst eingesetzt. Ohne den Einsatz von Personen aus dem kriminellen Milieu erhält man Informationen aus eben diesen abgeschotteten Täterkreisen realistisch nicht.

III.     Die vorgesehenen Regelungen zum Kernbereichsschutz sind ermittlungshindernd und rechtlich nicht geboten. Sie sind abzulehnen.

Die im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen zum Kernbereichsschutz sind auch nach der im Entwurf zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum Gefahrenabwehrrecht) nicht geboten. Der Entwurf verkennt, dass die Beziehungen von Vertrauenspersonen zu Betroffenen überwiegend nicht staatlich veranlasst werden, sondern bereits bestehen. Personen aus deren Nahbereich entschließen sich bewusst dazu, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren und sind besonders wertvoll. Je mehr der Einsatz insgesamt von einer Nähe zum Kernbereich privater Lebensgestaltung geprägt ist, desto eher soll aber nach dem Entwurf der Einsatz von vornherein unterbleiben. Abgesehen davon, dass die im Referentenentwurf enthaltene Regelung eher Kommentarliteratur entspricht und nicht handhabbar ist, führt die vorgesehene Regelung ohne Not dazu, dass der Einsatz von Vertrauenspersonen kaum noch möglich sein wird.

IV.    Einer gesetzlichen Definition der zulässigen Tatprovokation bedarf es nicht. Die Annahme eines generellen Verfahrenshindernisses bei rechtsstaatswidriger Tatprovokation ist nicht geboten.

Die Rechtslage zur Tatprovokation, insbesondere die Abgrenzung zwischen einer zulässigen Tatmotivierung und einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation, ist durch die Rechtsprechung eindeutig geklärt. Die im Entwurf vorgesehene gesetzliche Definition ist statisch und nicht in der Lage, Einzelfälle so abzubilden, dass die Rechtsprechung - wie bisher - differenziert entscheiden kann. Die vorgesehene Folge, dass bei rechtsstaatswidriger Tatprovokation stets vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses auszugehen ist, ist ebenfalls nicht geboten. Die Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das deutsche Strafrechtssystem gebietet eine solche alternativlose Folge nicht. Die Annahme eines Verfahrenshindernisses muss auch weiterhin auf extreme Ausnahmefälle beschränkt sein.

Fazit

Der Gesetzentwurf führt, soweit er nicht nur redaktionelle Änderungen enthält, faktisch dazu, dass gerade im Bereich der Schwerkriminalität eines der wichtigsten Ermittlungsinstrumente praktisch nicht mehr einsatzbar ist. Das gilt insbesondere für die Terrorismusbekämpfung, die Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität und die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Dies widerspricht den zu Recht getroffenen Festlegungen im Koalitionsvertrag und kann im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung und unseres Gemeinwesens und der Wahrung des Rechtsfriedens in unserem Land nicht gewollt sein.

Sollte man der Ansicht sein, dass die Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen wie bisher in einem materiellen Gesetz (Anlage D zur RiStBV), das die Strafverfolgungsbehörden bindet, nicht ausreichend sei, wäre es aus unserer Sicht möglich, diese bewährten und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Regeln in ein formelles Gesetz, die Strafprozessordnung, zu übernehmen.