Pressemitteilung 7/2025 vom 27. November 2025
Das Landgericht Bayreuth arbeitet seine Geschichte und die Rolle der Justiz in der NS- und Nachkriegszeit auf
Das im Jahr 2020 vom Landgericht Bayreuth initiierte Forschungsprojekt „Sondergericht und Volksgerichtshof in Bayreuth“ konnte nach über fünf Jahren intensiver, vollständig ehrenamtlicher Tätigkeit am 27. November 2025 der Öffentlichkeit präsentiert werden.
In einer besonderen Feierstunde konnten die Forschungsergebnisse den zahlreich erschienenen Gästen, darunter hochrangigen Vertretern aus Justiz, Politik, Behörden, Wissenschaft, den bayerischen Staatsarchiven und weiteren gesellschaftlichen Institutionen, sowie den Vertretern der Medien präsentiert werden. In seiner Begrüßung stellte der Präsident des Landgerichts Bayreuth Matthias Burghardt das Forschungsprojekt vor, das sich auch mit dem in Bayreuth tagenden Volksgerichtshof und mit den Biografien der beteiligten Richter und Staatsanwälte befasst. In ihren Grußworten würdigten der Bayerische Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich, der Regierungspräsident von Oberfranken Florian Luderschmid sowie der Generaldirektor der Bayerischen Archive Dr. Bernhard Grau die Arbeit des Landgerichts und betonten die Notwendigkeit und besondere Bedeutung einer intensiven Befassung mit Justizunrecht. Die Festrede hielt Prof. Dr. Christoph Safferling, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der FAU Erlangen-Nürnberg, zugleich Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien und damit eng befasst mit dem bleibenden Erbe der Nürnberger Prozesse.
Staatsminister Georg Eisenreich:
„Die menschenverachtenden NS-Verbrechen waren auch deshalb möglich, weil sich nicht wenige Juristen, die eigentlich Recht und Gesetz verpflichtet waren, in den Dienst des Regimes gestellt haben. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist gerade in diesen Tagen, in denen wir die schlimmste Antisemitismuswelle nach Ende des Zweiten Weltkriegs erleben und Demokratien durch den zunehmenden Einfluss von autoritären Kräften weltweit unter Druck geraten, besonders bedeutsam. Das Bayreuther Projekt trägt vorbildlich zur Schärfung des historischen Bewusstseins für das NS-Unrecht bei.“
Dr. Karin Angerer, Präsidentin des Oberlandesgerichts Bamberg:
„Die Verstrickung der Richterschaft in das NS-Unrechtsregime ist auch heute noch nicht vollständig aufgeklärt und bedarf weiterer Aufarbeitung. Das Landgericht Bayreuth hat mit seinem Forschungsprojekt einen wichtigen Beitrag hierzu geleistet. Ich danke allen Beteiligten für ihren unermüdlichen Einsatz und die wertvollen Ergebnisse ihrer Arbeit“.
Matthias Burghardt, Präsident des Landgerichts Bayreuth:
„Uns war und ist bewusst, dass wir mit unserer Forschungsarbeit nichts wiedergutmachen können, aber unser Bestreben war, das bisherige ‘Nichts‘ auszufüllen mit einer belegten Erinnerung an das, was im Namen der deutschen und auch der Bayreuther Justiz im Dritten Reich geschehen und nach dem 2. Weltkrieg unterlassen wurde.“
Professor Dr. Christoph Safferling, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien:
„Der Justizstandort Bayreuth stellt sich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist aber notwendig, um zu verstehen, wie sich die Justiz dem Nationalsozialismus angedient hat. Insofern hoffe ich, dass das Bayreuther Projekt viele Nachahmer findet, damit sich unser Wissen über das Verhalten der Justiz im Nationalsozialismus weiter vertieft.“
Auch die Enkelin einer der vom Sondergericht Bayreuth im Jahr 1942 verurteilten Frauen betonte in ihrer Videobotschaft die auch noch für nachfolgende Generationen anhaltende Bedeutung derartiger Forschungen.
Im Anschluss an den Festakt enthüllte Herr Staatsminister Eisenreich eine erstmals im Bayreuther Justizpalast angebrachte Gedenktafel, die vom Landgericht als ein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung an die aktive Beteiligung der Justiz am NS-System, an die fehlende juristische Aufarbeitung von Justizunrecht nach dem Zweiten Weltkrieg und an die Opfer der NS-Justiz gestaltet wurde.
Ab sofort sind die Ergebnisse der Forschungsarbeiten für die Öffentlichkeit zugänglich, und zwar auf interaktiven Stelen vor jenem Sitzungssaal des Justizpalastes, in dem das Sondergericht und auch der Volksgerichtshof tagten. Sie sind aber auch abrufbar auf der eigens hierfür eingerichteten Website https://ns-justiz-bayreuth.de/ .
Die auch mit dem Projektstart nicht beendete Forschungsarbeit des Landgerichts soll allen Interessierten die Möglichkeit geben, über eine bloße Information hinaus nicht nur über Aufgabe, Bedeutung und Folgen gerichtlicher Tätigkeit, sondern auch über die eigene Einstellung zu „Recht und Gesetz“ zu reflektieren. Justiz existiert immer in einer Gesellschaft mit einer Gemeinschaftsordnung. Die Fragen zur Ausgestaltung dieser Gemeinschaftsordnung stellen sich immer wieder neu und müssen von jedem Mitglied einer Gesellschaft für sich und letztlich für alle immer wieder neu beantwortet werden. Die veröffentlichten Forschungsergebnisse sollen Jeder und Jedem Anregung und Möglichkeit geben, sich hierüber eine eigene Meinung zu bilden.
Das Landgericht Bayreuth bedankt sich ausdrücklich für die großartige Unterstützung seitens der Archive, allen voran bei dem Staatsarchiv Bamberg, das es durch die Bereitschaft zur Aktenausleihe überhaupt erst möglich gemacht hat, dieses Projekt auf ehrenamtliche Weise umzusetzen. Darüber hinaus haben zahlreiche weitere Archive, aber auch Angehörige, engagierte Privatpersonen, Institutionen und Behörden auf vielfältige Weise Unterstützung geleistet, ohne die vieles nicht möglich gewesen wäre. Allen ist das Landgericht zu großem Dank verpflichtet.
Bei der Gestaltung der Webseite konnte sich das Landgericht stets auf die professionelle und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Akademie für Neue Medien und der ebenfalls in Kulmbach ansässigen IT-Firma breadcrumb verlassen. Und schließlich wäre die technische Umsetzung in eine online-Plattform ohne die finanzielle Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und der Oberfrankenstiftung nicht vorstellbar gewesen. Das Landgericht ist hierfür besonders dankbar.
Auch seinem Forschungspartner, der Universität Bayreuth, die von Anfang an von dem Projekt überzeugt war und unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Kannowski mit einer eigenen Forschungsrichtung eine insbesondere für weitere wissenschaftliche Zwecke hervorragend geeignete und auch die vielen hundert staatsanwaltschaftlichen Verfahren umfassende Datenbank erstellte, ist das Landgericht für die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr dankbar.
Hintergrund:
Das Forschungsprojekt soll am Beispiel des Landgerichts Bayreuth zeigen, welche Rolle die deutsche Justiz in der NS-Zeit gespielt hat. Anhand der Urteile des Sondergerichts Bayreuth, welche annähernd vollständig durch langwieriges Sichten sämtlicher Sondergerichtsakten zusammengefasst und katalogisiert wurden, und des auch in Bayreuth tagenden Volksgerichtshofs sollen Gesetzgebung und Rechtsprechung der NS-Zeit, aber auch die damals handelnden Personen, zuletzt auch der Umgang mit Justizunrecht nach dem Ende des 2. Weltkriegs beleuchtet werden. Schließlich sollen auch die Angeklagten und Verurteilten und deren Schicksale nicht vergessen werden.
Nachdem in der NS-Zeit im Bezirk des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg zunächst ausschließlich an dessen Sitz ein Sondergericht installiert war, wurden mit Wirkung vom 20.06.1942 auch in Bayreuth (für die Bezirke der Landgerichte Bayreuth und Hof) sowie vom 01.09.1942 in Würzburg (für die LG-Bezirke Würzburg und Aschaffenburg) Sondergerichte gebildet.
Das Sondergericht am Landgericht Bayreuth existierte und war tätig bis zur Befreiung Bayreuths durch die US-Army am 14. April 1945. Vorsitzende des Sondergerichts waren Dr. Hans Wilhelm (Willy) Schmitt (20.06.1942 bis 07.02.1943) und Rudolf Brehm (08.02.1943 bis Kriegsende), der seit 01.08.1943 zugleich Präsident des Landgerichts Bayreuth war.
Verschiedenen Berichten ist zu entnehmen, dass auch der Volksgerichtshof bereits ab Herbst 1944 im Saal 100 des Justizpalastes (heute Sitzungssaal 1.049) in Bayreuth tagte. Nachdem am 3. Februar 1945 das Gebäude des Volksgerichtshofs in Berlin durch Bombardements zerstört worden war, wurde er auf Anordnung Hitlers nach Potsdam ausgelagert und die für Hoch- und Landesverrat zuständigen Senate nach Bayreuth verlegt. Am 6. Februar wurden deshalb mehrere hundert Häftlinge vom Berliner Westhafen zunächst per Lastkähnen bis Coswig, von dort per Zug nach Bayreuth transportiert, wo am 17. Februar die überlebenden 193 männlichen und 28 weiblichen Gefangenen ankamen und im Gefängnis St. Georgen-Bayreuth inhaftiert wurden.
Eine für den 14. April angesetzte Erschießung aller in Bayreuth inhaftierten politischen Gefangenen fand nicht mehr statt, da am gleichen Tag amerikanische Soldaten die Stadt erreichten. Die Gefangenen des Zuchthauses, darunter der spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, wurden an jenem Vormittag von ihrem geflohenen Mithäftling Karl Ruth befreit. Dieser Teil der Geschichte des Volksgerichtshofs in Bayreuth ist bis heute weitgehend unbekannt, seine mögliche Tätigkeit in Bayreuth unerforscht geblieben.
Die vor dem Bayreuther Sondergericht verhandelten Verfahren - u.a. wurden vom Sondergericht Bayreuth 14 Todesurteile, die beiden letzten nur wenige Tage vor Kriegsende, verhängt - sind zwar weitestgehend bekannt, zumal es hierzu auch bereits mehrere Veröffentlichungen gibt. Allerdings existierte bislang weder eine systematische Darstellung aller Bayreuther Sondergerichtsverfahren - erst recht nicht der in Bayreuth verhandelten Verfahren des Volksgerichtshofs - noch eine strukturierte und vollständige Übersicht und Einsichtsmöglichkeit für die Öffentlichkeit. Auch im Bayreuther Justizpalast erinnerte bislang nichts an diese dunkle Zeit deutscher Justizgeschichte.
Über die handelnden Personen, also die am Sondergericht tätigen Richter und Staatsanwälte, war ebenfalls wenig bis nichts bekannt.
Diese fehlende Aufarbeitung wurde nun in fünf Jahren intensiver Forschungsarbeit, u.a. durch Sichtung sämtlicher in Staats- und Bundes- und Stadtarchiven vorhandener Verfahrens-, Personal-, und Spruchkammerakten, geleistet. Hierbei wurden nicht nur die Verfahren erfasst, sondern auch sämtliche Biografien der beteiligten Richter und Staatsanwälte erforscht und dargestellt. Zuletzt wurde auch die (fehlende) Aufarbeitung von NS-Justiz(un)recht in der Nachkriegszeit beleuchtet.