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Oberlandesgericht München

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Pressemitteilung 63 vom 15.12.16

Nachlasssache Cornelius Gurlitt: Weg frei für das Kunstmuseum Bern

Auch das Oberlandesgericht München hält eine Testierunfähigkeit des Erblassers Cornelius Gurlitt nicht für erwiesen. Dem im Testament als Alleinerbe eingesetzten Kunstmuseum Bern wurde danach der Erbschein zu Recht erteilt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Cousine des Erblassers, Frau Uta W., wurde zurückgewiesen.

 

Mit Beschluss vom heutigen Tag hat das Oberlandesgericht München die Nachlassbeschwerde der Cousine des Erblassers, Frau Uta W., gegen einen Beschluss des Amtsgerichts München vom 23.03.2015 (berichtigt mit Beschluss vom 25.03.2015), mit dem dem Erbscheinantrag des Kunstmuseums Bern stattgegeben wurde, zurückgewiesen.
Wie bereits das Amtsgericht, hält auch das Oberlandesgericht das Testament von Cornelius Gurlitt vom 09.01.2014, in dem er das Kunstmuseum Bern zum Alleinerben eingesetzt hat, für wirksam. Eine Testierunfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kann zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen werden. Maßgeblich für die Erbfolge ist danach das Testament vom 09.01.2014.

Zu diesem Ergebnis gelangte der zuständige Zivilsenat des Oberlandesgerichts München nach von ihm durchgeführten umfangreichen Ermittlungen, Erholung eines schriftlichen psychiatrischen Sachverständigengutachtens sowie einer mündlichen, im Beisein der Beteiligten erfolgten Anhörung des Sachverständigen und von Zeugen.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der Senat unter anderem folgendes aus:

Nach § 2229 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) gelte grundsätzlich jedermann, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, als testierfähig. Nach § 2229 Abs. 4 BGB könne nur derjenige ein Testament nicht errichten, der wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da diese Umstände aber die Ausnahme bilden, sei ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen ist. Eine Testierunfähigkeit des Herrn Gurlitt zum maßgeblichen Zeitpunkt der Abfassung des Testaments sei jedoch, so der Senat, nicht festzustellen.

Der Senat setzt sich in seiner Entscheidung im Einzelnen mit dem schriftlichen Gutachten sowie den mündlichen Ausführungen des von ihm beauftragten gerichtlichen Sachverständigen auseinander, dem neben zahlreichen Aktenauszügen aus verschiedenen Verfahren sowie Briefen des Erblassers und Briefen an ihn auch umfangreiche ärztliche Unterlagen zur Verfügung standen.
Der Sachverständige habe, so der Senat, schon in seinem schriftlichen Gutachten vom 07.12.2015 umfassend die Erkenntnisse aus den durchgeführten Ermittlungen ausgewertet und erörtert, welche psychiatrischen Krankheitsbilder beim Erblasser festgestellt worden bzw. zu erwägen seien. Außerdem habe sich der Sachverständige in der Anhörung vor dem Senat am 27.09.2016 und am 11.10.2016 eingehend mit den in der Folgezeit eingereichten Schriftsätzen der Beschwerdeführerin und den von dieser in Auftrag gegebenen Privatgutachten zur Testierfähigkeit des Erblassers auseinandergesetzt. Dabei habe der gerichtliche Sachverständige dargelegt, dass die Bewertung der Privatgutachter der Beschwerdeführerin, der Erblasser sei in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung des Testaments vorher und nachher laufend desorientiert gewesen bzw. habe bei Errichtung des Testaments an einem Wahn und/oder einer mittelschweren Demenz gelitten, aus psychiatrischer Sicht nicht zutreffe.

Nach den durchgeführten Ermittlungen sowie der Beweisaufnahme erschien dem Senat die Beurteilung durch den gerichtlichen Sachverständigen, an dessen Sachkunde keine Zweifel bestünden und der auch die richtigen Prüfungsmaßstäbe angelegt habe, folgerichtig und nachvollziehbar.

Wie er näher begründet, ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments vom 09.01.2014 an einem Wahn gelitten habe, der die Testierfähigkeit zu diesem Zeitpunkt aufgehoben hätte. Zwar seien im Laufe des Verfahrens einige Anhaltspunkte zu Tage getreten, die einen Wahn des Erblassers grundsätzlich denkbar erscheinen ließen. Diese Anhaltspunkte würden aber nach Auffassung des Senats für eine gesicherte Überzeugungsbildung in diese Richtung nicht ausreichen, zumal der Erblasser zu Lebzeiten nicht entsprechend untersucht worden sei und es sich bei den entsprechenden Beobachtungen und Einschätzungen Dritter um solche von medizinischen Laien handle.

Des Weiteren ist der Senat auch nicht davon überzeugt, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments vom 09.01.2014 an einer Demenz gelitten habe, die die Testierfähigkeit zu diesem Zeitpunkt aufgehoben hätte. Maßgebliche Kriterien für die Annahme einer Demenz sei die Abnahme des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten. Für diese gebe es im Verfahren zwar Anhaltspunkte; diese würden aber nicht zwingend den Schluss auf eine Demenz nach sich ziehen. Im Übrigen deute der Umstand, dass der Erblasser vor einer - durchaus lebensbedrohlichen - Operation ein Testament verfasste, eher darauf hin, dass er sehr wohl in der Lage war, abwägende und vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Schließlich konnte sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments an einem sog. Delir gelitten habe, das die Testierfähigkeit zum fraglichen Zeitpunkt aufgehoben hätte. Insbesondere ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Willensbildungsprozess des Erblassers, der der Testamentserrichtung vorausging, zu einem Zeitpunkt erfolgt wäre, zu dem es zu physischen oder psychischen Komplikationen gekommen wäre. Vieles spreche zudem dafür, dass der Erblasser sowohl bei der Vorbesprechung als auch bei der Beurkundung des Testaments vollständig orientiert war.

Für die von der Beschwerdeführerin erstrebte Einholung eines Obergutachtens bestand nach Auffassung des Senats keine Veranlassung.

Maßgeblich für die Erbfolge sei deshalb das Testament vom 09.01.2014; der vom Nachlassgericht bewilligte Erbschein entspreche der Erbrechtslage.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Senat der Beschwerdeführerin auferlegt, mit Ausnahme der für das gerichtliche Sachverständigengutachten und die Anhörung des Sachverständigen und der Zeugen im Beschwerdeverfahren angefallenen Kosten. Es erschien dem Senat angemessen, dass diese für die Klärung der Frage der Testierfähigkeit entstandenen Kosten, die im Beschwerdeverfahren nur deshalb angefallen seien, weil es das Nachlassgericht unterlassen habe, seinerseits ein entsprechendes Gutachten zu erholen bzw. die Zeugen anzuhören, die Stiftung Kunstmuseum Bern als testamentarische Erbin zu tragen habe.

Da der Senat die Rechtsbeschwerde gegen seinen Beschluss, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden gehabt hätte, nicht zugelassen hat, ist das Erbscheinsverfahren damit rechtskräftig abgeschlossen.

Das Geschäftszeichen des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München lautet 31 Wx 144/15.

Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, weise ich zur Klarstellung auf folgende rechtlichen Gesichtspunkte hin:

Mit dem rechtskräftigen Abschluss des Erbscheinsverfahrens muss die Erbangelegenheit Gurlitt als solche noch nicht zwingend beendet sein.
Der Erbschein dient als Verfügungsausweis des Erben. Seine große praktische Bedeutung erlangt er wegen der besonderen Beweiskraft (§ 2365 BGB) und des öffentlichen Glaubens (§§ 2366, 2367 BGB). Er enthält die Person des Erblassers, des oder der Erben, gegebenenfalls der Erbquoten und etwaiger Beschränkungen der Verfügungsmacht und dient damit der Sicherheit des Rechtsverkehrs.
Das Ergebnis eines Erbscheinsverfahrens, in dem über die Wirksamkeit des Testaments und die Testierfähigkeit des Erblassers Beweis erhoben wurde, hat aber keine Bindungswirkung für einen möglichen streitigen Zivilprozess. Das Prozessgericht ist an die Entscheidung des Nachlassgerichts nämlich nicht gebunden.
Rechtlich nicht ausgeschlossen ist mit der Entscheidung vom heutigen Tag somit (ohne dass aber insoweit irgendwelche tatsächlichen Erkenntnisse vorlägen), dass die unterlegene Cousine des Erblassers im Wege einer vor einer landgerichtlichen Zivilkammer zu erhebenden Klage darauf klagt, Erbin zu sein.
In einem Zivilprozess gelten allerdings andere Verfahrensgrundsätze als im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht. Während das Nachlassgericht gemäß § 26 FamFG (Familienverfahrensgesetz) von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat, gilt im Rahmen eines Zivilprozesses der sogenannte Beibringungsgrundsatz, d.h., derjenige, der einen Anspruch erhebt, hat diesen grundsätzlich darzulegen und im Fall des Bestreitens auch zu beweisen. Die Kosten eines Zivilprozesses, namentlich bei hohen Streitwerten, sind erheblich höher als die in einem Erbscheinsverfahren entstehenden Kosten.

Wilhelm Schneider
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
Pressesprecher des Oberlandesgerichts München für Zivilsachen