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Oberlandesgericht München

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Pressemitteilung 34 vom 13.12.2021

Klagen wegen der Haftung des Abschlussprüfers für die Testate der Bilanzen der Wirecard AG bedürfen voraussichtlich einer umfangreichen Beweisaufnahme

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München (Kapitalanlagesenat) hat in einigen (u.a. 8 U 6063/21) Berufungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 31.03.2022 bestimmt:

Die Wirecard AG hatte mit Ad-hoc-Mitteilung vom 22.06.2020 darüber informiert, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro mit über-wiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestünden. Am 25.06.2020 stellte die Wirecard AG Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und am 29.06.2020 versagte die Beklagte für das Jahr 2019 das Testat für die Wirecard AG. Am 25.08.2020 eröffnete das Amtsge-richt München das Insolvenzverfahren. Diese Vorgänge haben zu einem drastischen Kurs-verlust der Wirecard-Aktie geführt (zum Ablauf vgl. Bericht des Untersuchungsausschus-ses des Bundestags zum Wirecard-Skandal vom 22.06.2021, BT-Drs. 19/30900 S. 82 f.). In der Folgezeit haben hunderte von Anlegern die Beklagte – ein Wirtschaftsprüfungsunter-nehmen, dass die Ordnungsgemäßheit der Bilanzen der Wirecard AG attestiert hatte - vor dem Landgericht München I auf Schadenersatz in Anspruch genommen.

Das Landgericht München I hat die Klagen zahlreicher Anleger ohne Beweisaufnahme ab-gewiesen. Zum Teil wurde die haftungsbegründende Kausalität zwischen den behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten bei den Abschlussprüfungen der Bilanzen der Wirecard AG und dem behaupteten Schaden in Gestalt des Erwerbs von Aktien der Wirecard AG durch die Anleger verneint, zum Teil wurde auch eine haftungsbegründende Pflichtverlet-zung der Beklagten bei den Abschlussprüfungen als nicht gegeben erachtet.

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat in einem als vorläufig bezeichneten Hinweis ausgeführt: Gegen die Verneinung der haftungsbegründenden Kausalität bestün-den erhebliche Bedenken. Zweifelhaft erscheine schon, ob die Ablehnung einer Kausali-tätsvermutung wegen einer durch die – unterstellt – fehlerhaften Bestätigungsvermerke der Beklagten hervorgerufenen sog. „positiven Anlagestimmung“ bei einem DAX-Unternehmen zutreffend sei. Ggf. habe das Landgericht hierzu wohl ein Sachverständigengutachten erholen müssen. Außerdem sei wohl davon auszugehen, dass eine – unterstellt gebotene – frühere Verweigerung des Testats durch die Beklagte dann auch früher zum Insolvenzan-trag der Wirecard AG geführt hätte. Ausgehend von einem derartigen hypothetischen Kau-salverlauf spräche dann wohl die allgemeinen Lebenserfahrung dafür, dass die Anleger die streitgegenständlichen Aktienkäufe in Kenntnis dessen nicht getätigt hätten. Dabei sei der Schutzbereich von § 826 BGB ebenso eröffnet wie in den „Dieselfällen“. Ob die vorsätzli-che sittenwidrigen Schädigung im Verschweigen einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch den Hersteller oder in einer – unterstellt - „gewissenlosen“ Abschlussprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer besteht, könne wohl keine Unterschied machen.

Somit dürfte entgegen der Auffassung des Landgerichts wohl nicht offen bleiben bzw. ohne Beweisaufnahme verneint werden können, ob der Beklagten eine haftungsbegrün-dende Pflichtverletzung anzulasten ist. Ob der sog. KPMG-Bericht, in dem der Beklagten verschiedene Versäumnisse vorgeworfen wurden, stichhaltig ist, habe das Landgericht wohl nicht aus eigener Sachkunde beurteilen können. Hierfür dürfte vielmehr ein Sachver-ständigengutachten erforderlich sein. Ähnliches gelte für die Vorwürfe im Bericht des Bun-destags-Untersuchungsausschusses zum Wirecard-Skandal vom 22.06.2021, den die Kla-gepartei auszugsweise vorgelegt habe und mit dem sich das Landgericht gehörswidrig überhaupt nicht mehr befasst habe.

Zum Fortgang des Verfahrens hat der Senat angekündigt, dass er erwäge, das Verfahren zur Durchführung der wohl erforderlichen sehr umfangreichen Beweisaufnahme an das Landgericht zurückzuverweisen, falls eine der Parteien dies beantrage. Alternativ hat der Senat angeregt, das Landgericht möge die Einleitung eines Verfahrens nach dem Kapital-anleger-Musterverfahrensgesetz erwägen. Angesichts der sehr hohen Zahl an Parallelver-fahren sei dies wohl der geeignetste Weg für eine grundsätzliche Klärung der Vorwürfe.


Oberlandesgericht München, Pressestelle