Amtsgericht Neu-Ulm
01.06.2022

Massenverfahren und Sammelklagen belasten Deutschlands Gerichte / Bayern fordert den Bund erneut auf, rechtspolitisch aktiv zu werden / Bayerns Justizminister Eisenreich: "Unsere Justizressourcen dürfen nicht verschlissen werden. Deshalb ist ein großes Reformpaket überfällig."

Dieselverfahren, gekündigte Stromverträge von Billiganbietern, Beitragserhöhungen von Krankenkassen oder Widerrufe von Darlehensverträgen: Massenverfahren und Sammelklagen belasten zunehmend die Zivilgerichte. Der
Vorsitzende der 93. Justizministerkonferenz und bayerische Justizminister Georg Eisenreich: "Die derzeitige Rechtslage führt zu einem unnötigen Verschleiß wertvoller Justizressourcen. Deshalb haben wir in Bayern mit einem Maßnahmenbündel auf die zusätzlichen Herausforderungen unserer Gerichte reagiert. Wir haben – wie auch einige andere Bundesländer – eine Praktiker-Arbeitsgruppe eingesetzt, die organisatorische Maßnahmen vorgeschlagen hat. Wir haben Personal aufgestockt. Wir treiben die Digitalisierung voran und testen auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das alles reicht aber nicht. Um die Massenverfahren zu bewältigen, ist ein umfassendes, rechtspolitisches Reformpaket des Bundes notwendig. Dabei dürfen Geschädigte selbstverständlich nicht davon abgehalten werden, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Denn eine effektive Durchsetzbarkeit von Verbraucherrechten ist wichtig."

Auf Initiative Bayerns hat die Justizministerkonferenz den Bundesjustizminister bereits im vergangenen Herbst dazu aufgefordert, entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten. Auch die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs haben wiederholt – zuletzt auf ihrer Jahrestagung am 25. Mai 2022 – deutlich gemacht: Selbst, wenn alle technischen und personellen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, ist es nicht möglich, die Massenverfahren zu bewältigen.
Eisenreich: "Im Koalitionsvertrag wurde das drängende Problem der Massenverfahren nicht ausreichend thematisiert. Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, zeitnah Lösungsvorschläge vorzulegen."
Bayern bringt dazu erneut einen Antrag bei der 93. Justizministerkonferenz (1./2. Juni) ein.

Die wesentlichen Reformvorschläge Bayerns:

  • Höchstrichterliche "Vorabentscheidungen" über grundsätzliche Rechtsfragen: Dadurch könnte die Rechtslage für eine Vielzahl von Einzelfällen geklärt und Rechtsmittel könnten überflüssig werden. Die Berufungsquote liegt bisher bei nahezu hundert Prozent. Viele Revisionen zum Bundesgerichtshof betreffen die gleichen Rechtsfragen.

  • Effektive Umsetzung der Verbandsklage-Richtlinie: Eine Entlastung der Gerichte kann dadurch erreicht werden, dass Verbraucher gleichgelagerte Ansprüche in einem einzigen Verfahren gemeinsam geltend machen können.

  • Konzentration der Beweisaufnahme: Bei ähnlich gelagerten Fällen muss eine vielfache Wiederholung von Sachverständigengutachten und Zeugenvernehmungen vermieden werden – natürlich unter Wahrung der Parteirechte.

  • Strukturvorgaben für Schriftsätze bei Massenverfahren: Derzeit kommt es häufig zu Verzögerungen, weil die standardisierten Schriftsätze oft aus Textbausteinen bestehen und kaum Bezug zum Einzelfall haben. Die Anlagen sind teils nicht richtig zugeordnet.

Justizminister Eisenreich abschließend: "Bayern möchte, dass bei der notwendigen Reform insbesondere die Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie genutzt wird. Die Zeit drängt: Unsere Gerichte benötigen dringend die rechtlichen Werkzeuge, um Massenklagen in angemessener Zeit bearbeiten zu können."

Hinweis: Die 93. Justizministerkonferenz findet am 1. und 2. Juni in Hohenschwangau (Bayern) statt.

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Wussten Sie eigentlich …?

… dass die Fachgerichtsbarkeiten, d.h. die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte in Bayern nicht zum Justizressort, sondern zum Geschäftsbereich der jeweiligen Fachministerien gehören?